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50 Jahre Die kleine Weltlaterne

Die Fiedlers - Plettenberg 2001


Ingo Insterburg. Alles, was mit Insterburg und Co zu tun hatte, hängt, klebt stapelt sich an den Wänden. Seine unglaublichen gemalten Bilder, die Plakate und die selbst gebauten Instrumente. Wir erleben einen erzähl-freudigen Barden, der jeden Tag mndestens ein Gedicht schreibt. Zur Weltlaterne kam er damals, weil er auch in Kreuzberg lebte und hörte, da gibt es eine Kneipe, da kann man auf Kredit saufen. Und Karl Dall wohnte neben ihm, aber man kannte sich nicht. "Der war ja tagsüber in seinem Job und ich ging erst abends los". Doch in der Weltlaterne saß man dann irgendwann zusammen und lernte den und den auch noch kennen. "Wenn man 4 Schafe in eine Ziegenherde verstreut, finden sich die 4 Schafe irgendwann zusammen." sagt Ingo. So wurde daraus später das legendäre Quartett Insterburg & Co. Daß Ingo die Frauen liebt, hielt er in einem Lied fest, das er für

uns spielte. Geschrieben 1968. "In der Kleinen Weltlaterne war ich gerne... auf daß die Frauen niemals aller werden.." Mit einem dicken 700-seitigen Buch seiner Werke als Geschenk verabschiedet er uns. Den haben wir also nun auch im Kasten..Ein kleiner Gag am Rande... Ich, der ich ja gelernter Buchdrucker bin, arbeitete in den 70er Jahren in einer Druckerei am Ernst-Reuter-Platz. Kurz bevor ich da anfing, entließ man einen Herrn, der es dort als Schriftsetzer mit der Pünktlichkeit nicht so genau nahm. Das war Karl Dall.

60er Jahre - Insterburg & Co in der Kreuzberger Kleinen Weltlaterne. Von Links: Jürgen Barz, Ingo Insterburg, Peter Ehlebracht und Karl Dall.


Karl Dall

Er kam aus Leer in Norddeutschland mit Peter Ehlebracht nach Berlin. Das war in den End-60er Jahren. Arbeitete zunächst in seinem gelernten Beruf als Schriftsetzer. Nebenbei aber auch als Kellner in der Künstlerkneipe "Malkiste" und lernte dort zunächst Ingo Interburg kennen, der noch ein letztes Bier trinken wollte. Der trat bereits im ReichsKabarett mit Jürgen Barz auf. Dort trafen sie wieder zusammen und beschlossen ein Quartett zu werden. Sie arbeiteten an Sketchen und musikalischen Programmen und hatten damit immer mehr werdenden Erfolg. So blieb es nicht aus, dass sie auch in der Kleinen Weltlaterne auf den Tischen oder sogar auf den Tresen immer wieder ihre Einlagen brachten.

Einer der Schamoni-Brüder, Ulrich Schamoni, wurde auf die Truppe aufmerksam und drehte den Film "Quartett im Bett", bei dem auch die legendären Jakob-Sisters eingebunden waren. Dieser Film wird im Jahr 2018 noch einmal im "Cinema Paris" in guter Qualität mit allen (noch vorhandenen) anwesenden Protagonisten gezeigt. Zum Zeitpunkt des Gesprächs mit Karl wurde er 77 Jahre alt und sagt von sich selbst, dass er nicht nur jünger aussieht, sondern auch, dass er nichts gelernt hat, aber alles was er nicht kann macht er perfekt.

Heute tritt er nur noch im Fernsehen auf oder wenn ihn jemand engagiert. Aber in der Kleinen Weltlaterne macht er es umsonst. Karl Dall lebte in Hamburg. Gestorben am 23. November 2020.


Beppo Pohlmann. Einer, der in den Anfang-Siebzigern aus Osnabrück nach Berlin Kreuzberg kam. Nicht weit von der Kleinen Weltlaterne am Paul-Linke-Ufer. Heute wohnt er in Friedenau in einer schönen Alt-Berliner Wohnung. In den damaligen Jahren gründete er mit Jürgen von der Lippe die "Gebrüder Blattschuß", und aus einer Laune heraus entstand der Kneipen-Song "Kreuzberger Nächte". Ein kleiner Hit, der ihm immerhin eine goldene Schallplatte einbrachte. Er erinnert sich noch genau an den Weltlaternen-Kellner Thadeusz und

zweifelte an dessen bodenständiger Integrität. "Ich dachte immer, das ist noch so ein übrig gebliebener Nazi". Aber nicht doch... Thadeusz war ganz einfach ein ruppiger, exentrischer Kneipen-Poet, der mit seinen Versen und exibitionistischem Gehabe das Kneipen-Flaire prägte. Von Hertha Fiedler als Brühkopp oder "Piccolo" gerufen. Piccolo war in der DDR damals eine Küchenmaschine für alles. Er kam ja schießlich auch aus Sachsen. 1989 starb er an Krebs. - Und Beppo schrieb eigens für unseren Film seinen Kreuzberger Nächte-Song in "Weltlaternen Nächte" um. Die absolute Bereicherung für unser kleines Projekt.


Traudbert Erbe. Maler, Spachtel-Künstler. Von Anfang an dabei. Von Anfang an heißt, er machte 1961 in der Kleinen Weltlaterne die erste Ausstellung mit Jimmy Weitemeier und ein paar anderen Newcomern. Es fing so an, daß Hertha aufforderte, "hängt doch mal ein paar eurer Bilder an die Wand". Das taten sie und die erste Kneipen-Galerie war geboren. Traudbert Erbe hat eine besondere Spachteltechnik, die er auch schon in der Kleinen Weltlaterne demonstriert hat. Aus drei Grundfarben und unterschiedlichen Spachtelgrößen entstehen innerhalb kurzer Zeit eindrucksvolle figürliche Darstellungen. Er nennt sich auch "Bildschreiber". Später wurde er mit Hilfe der Berliner Politik Kunstamtsleiter von Berlin-Charlottenburg.


Dr. Dieter Biewald, Landespolitiker a.D. Dieter Keitel und ich kennen ihn ein halbes Leben lang. Er hat als Vorsitzender des Kulturausschusses diverse Ausstellungen (auch für uns) eröffnet. darüber hinaus ist er passionierter Taucher und Orgelspieler und hat unzählige Bücher geschrieben. Christo's Reichstag-Verhüllung mußte letzendlich über seinen Schreibtisch. Dr. Dieter Biewald hat von Anfang an das Treiben in der Kreuzberger Weltlaterne miterlebt und holte sich von dort immer wieder Künstler, um sie nicht nur in seinen Büchern zu beschreiben, sondern er machte auch Radiosendungen mit ihnen beim damaligen SFB (heute RBB). Alles unter dem Titel "Berliner Künstler im Gespräch mit mir". Sein Haus ist voller Bilder und Skulpturen namhafter Künstler und wir haben dort zwei sehr informationsreiche Stunden verbracht und ein wunderbares Interview im Kasten.


Bernhard Brink. Früher saß er mit Frank Zander oder Gunther Gabriel desöfteren in der Kleinen Weltlaterne. Und er machte auch einmal eine Bilderverlosung, die damals immer am Ende einer Ausstellung unter der Leitung von Hertha Fiedler regelmäßig statt fand. Von Bernhard Brink, damals noch mit vollem blonden Lockenkopf, kannte man schon viele Schlager. In dieser Zeit machte ich tausende Fotos (schw/wß) und es war das normalste der Welt, daß mitten unter den Gästen, der Zander, der Gabriel, der Dall oder Schauspieler aus der TV-Landschaft hier ihren Abend verbrachten. "Brinki", wie er oft gerufen wird, erinnert sich an ein etwas außergewöhnliches Honorar, das er von Hertha Fiedler für die Bestreitung der Verlosung erhielt: Einen Arsch mit Ohren. Ob Plastik oder Gemälde hat er uns nicht verraten. Das war sicher nicht persönlich gemeint, sagt er und hat die Trophäe an einen geigneten Ort untergebracht. Bei "Antenne Brandenburg" hat er heute jeden Sonntag eine zwei-Stunden-Sendung.

1982 - Bernhard Brink (rechts) mit einem Gewinner der Verlosung in der Kleinen Weltlaterne. Foto: Plettenberg


Die Stätte des Ursprungs

Insterburg & Co auf Erfolgstrip

Die Kreuzberger Weltlaterne hat sich verändert. Sie ist zeitgemäß, größer geworden und als Esslokal mit Kunst im Kietz beliebt. Nach den Fiedlers wechselte der Besitzer bis heute noch fünf mal und seit einigen Jahren wird das Lokal von Griechischen Landsleuten mit Erfolg betrieben. Und uns fällt auf, über das, worüber wir die ganze Zeit berichten, scheinbar eine MännerDomäne zu sein schien. Die einzige Frau, um die es letztlich geht, ist ja Hertha Fiedler. Aber die ist ja nicht mehr da. Aber wie schon gesagt... "Kreuzberger Nächte sind lang. Erst fang'nse janz langsam an... aber dann... :

Christina, die Kreuzberger Weltlaternen-Chefin ist sich der historischen Örtlichkeit durchaus bewußt. Gerade in letzter Zeit häufen sich bei ihr Begegnungen, die von damals wußten und etwas schreiben oder fotografieren wollen. Als wir eine Woche vorher schonmal da waren und von unserem Vorhaben berichteten, war sie darüber aus eben diesen Gründen garnicht überrascht. Im Gegenteil.. sofort ruft sie einige Stammkunden per Telefon an und wir haben dadurch sogar Interviewpartner für den nächsten Samstag. Tatsächlich gibt es hier Leute, die ihren Kietz nie verlassen haben und immer noch die Gäste von damals sind. Unser Bier ging "auf's Haus"... Eine Woche später sind wir wieder vor Ort und haben eine bunte Kneipe vor uns, die nicht nur unsere Interview-Partner bewirtet, nein, es gibt sogar noch eine neue Ausstellungs-Eröffnung.


Nero Brandenburg (mitte), ein Ur-Gestein in der Berliner Radiowelt. RIAS Berlin oder Sender Freies Berlin "SFB" - das war seine Welt. Nicht nur seine - natürlich auch unsere. Denn diese Stimme hat jeder Berliner Radiohörer noch im Ohr. Die kleine Weltlaterne gehörte bei ihm zum Trampelpfad. Hier traf man sich mit Kollegen aus der Radio- oder TV-Welt. Die Erinnerungen an den Kellner Thadeusz sprudeln förmlich aus ihm heraus. "Pickelhaube", der Typ dessen Frisur ihm diesen Namen einbrachte oder eben Hertha Fiedler, die genau wußte, welches Künstler-Potential in ihrem Laden steckte, um damit Umsatz zu machen. Namen über Namen, Anekdoten... "Die kleine Weltlaterne war ja nicht so eine Kneipe wie du und ich... sie war Hertha und Thadeusz.. "


Gunter Gabriel. Nach ein paar Anläufen klappte es ja doch noch mit ihm. Die kleine Weltlaterne kennt er nur all zu gut. Wenn Gunter in Berlin ist, besucht er die alte Stätte, wo er sich damals mit dem Dall, dem Zander oder Krüger getroffen hat. Schließlich wohnte er sogar mal in der Nähe. "Mit 'nem Textzettel und 'ner Gitarre kam ich hier an und als Millionär bin ich wieder zurück gegangen." sagt er und trinkt von seinem Limonaden-Glas. Limonade ? Nun ja, jetzt fährt er mit einer Taxe zum Termin, denn ... ach ja.. da gabs doch erst neulich eine Schlagzeile von wegen "Pappe weg".

Da war er nämlich hier bei Bernd in der kleinen Weltlaterne und hat nach seinem Konzert im Reaissance-Theater, wo er der Hauptinterpret des Johnny-Cash-Musical ist, noch mal zugelangt. So dolle, daß das einigen Herren in Grün gar nicht gefiel. Und dann erzählt er von seinen Erfolgen. "Ich war noch jung und schrieb zu der Zeit Lieder, die absolut ankamen. Neben an hier in der Nestorstraße war ja noch das Hansa Ton Studio und von da aus sind wir dann immer gleich hier in die Weltlaterne". Und dann fallen wieder die Namen "Thadeusz der Verrückte, Beate Hasenau, Ilja Richter, Marianne Rosenberg und der Roland Kaiser...". So kannte er diese unglaublich ungezwungene Kneipe, zu der er bis heute seine Treue zeigt. "Beinahe hätte ich die Hertha mal auf der Motorhaube meines Jaguar vernascht.", schmunzelt er in die Kamera. Danach greift er zur Gitarre und singt einen alten Weltlaternen-Song, den er damals schon geschrieben hatte. Überhaupt, seine neuen Songs, die gerade im Umlauf sind, sollte man sich einmal anhören. Nun räumt er mit seinem Leben auf und hat daraus ein musikalisches Paket gepackt. Nicht schlecht, Herr Gabriel. !!


Hugo Hoffmann - Atelier-Handpresse. Einer aus den ersten Tagen. Die lebende Legende "Kleine Weltlaterne" lebt mit ihm, weil er selbst Teil dieser Legende ist. Hugo Hoffmann ist Kunst-Buchdrucker. Er druckt Linol- und Holzschnitte von den Protagonisten, die seine Wegbegleiter waren und teilweise noch sind. Handzettel, Plakate.. all das, was druckbar ist auf seinen Tiegeln und Handpressen. Wieder tauchen die alten Namen auf, wie Mühlenhaupt, Günter-Bruno Fuchs, Schnell, Kuschnerus ... usw. Aber von denen gibt es viele Mappen, Bücher, Bände, Originale.. "Schon traurig, als die kleine Weltlaterne dann Mitte der 70er nach Wilmersdorf gegangen ist. Man war plötzlich allein." Die alte Garde verkrümelte sich immer mehr und es blieb nur noch eine Hand voll von denen da. In der Wilmersdorfer Weltlaterne formierte sich nach und nach das Charlottenburger Publikum mit seinen

eigenen illustren Gästen. An Prominenz fehlte es wahrhaftig nicht. Und Hugo weiter: "Lesungen oder Ausstellungen in anderen Kneipen war schon sehr schwierig, nachdem Hertha weg war. Das war schmerzlich." Heute hat die Griechische Kreuzberger Weltlaterne sogut wie keinen Bezug mehr zum alten Flaire. "Wir haben es versucht... mit ner Ausstellung der historischen "Gemeinde", aber... nun ja..". Als Nachlassverwalter von (z.B.) Märchen verfügt er über all dessen Papiere und Archiv-Material seiner Arbeiten. Und so erzählt er uns die Randgeschichten dieser Zeit, denen eigentlich ein spezieller Film gewidmet werden müßte. Wir haben ein Stück "Damals" im Kasten.

Ein Mühlenhaupt

Foto aus dem Jahr 2002. Hugo Hoffmann versteigert Bilder von Arthur Märchen in der Wilmersdorfer Weltlaterne zu Gunsten des Märchen-Grabsteins

In Hugos Druckwerkstatt druckt für uns die Handpresse einen hand-gesetzten Glückwunsch zum 50.


Arno Waldschmidt, Zeichner. In der engen Straße in Wilmersdorf, wo es fast keinen Parkplatz gibt, finden wir eine Lücke und asten 5 Treppen im Seitenflügel mit unseren Koffern hoch. Oben unterm Dach wohnt er. "Stell Dir vor Arno, Du müßtest hier noch Kohlen hoch schleppen.. " ist mein erschöpfter Kommentar. Aber er ist zentral beheizt. Arno Waldschmidt ist ein Zeitzeuge aus den 6oer Jahren. 1962 kam er aus Kassel nach Berlin-Kreuzberg und lernte 1963/64 die kleine Weltlaterne kennen. Es bildeten sich die "Rixdorfer Drucker". Also eine Homage an das heutige Berlin-Neukölln, wo allerdings keiner der beteiligten Protagonisten lebte. Es war lediglich eine Namensfindung. Arno zeichnete und ließ drucken. In der Kleinen Weltlaterne gaben sie ihre Drucke ab und konnten dafür Bier saufen. Die Druckerei war in der Oranienstrasse und bis nach Hause kostete die Busfahrt 50 Pfennig. Die mußten sie sich immer dafür aufheben. Es war immer eine gute viertel Stunde Fußweg von der Druckerei bis zur Kreuzberger Weltlaterne, dort zentralisierte man sich.

Natürlich gab es andere Kneipen, die zum Trampelpfad gehörten, aber in Hertha Fiedlers Weltlaterne war man heimisch, man war einer von allen, die die Kunst bewegen wollten. Das gabs wo anders nicht so wie hier. Arno ist ein wahrer Meister der Stiftzeichnung. Er schreibt auch Texte, die es in diversen Büchern mit Grafiken gibt. Er liest uns daraus vor. Ein wirklich toller Junge, der sein fotografisches Auge mit dem Stift umsetzt, wie kaum ein anderer. Seine Technik erinnert mich am M.C.Escher, der hollänische Zeichner, der ebenso detailgenau darstellt. Allerdings fließt bei Arno Waldschmidt immer ein Hauch Ironie oder nicht übertriebene Komik ein. Das macht ihn für wahr fantastisch.


Matthias Koeppel. Auch als Charlottenburger gehörte die Kreuzberger kleine Weltlaterne zu seinem "Trampelpfad". Wohlgemerkt: auch! Es gab andere Örtlichkeiten, die stets frequentiert wurden. Bis heute trifft man sich noch immer im "Zwiebelfisch" am Olivaer Platz. Nach Kreuzberg dagegen ist es schon eine ganze Ecke. Zwei Dinge, die ihn ausmachen: Die sozusagen fantastische Malerei, in denen der Berliner Himmel eine wesentliche Rolle übernimmt. "Er ist die Bühne für das Bild". Abgesehen von den weiteren Bildinhalten, die als Menschmassen im Gesicht noch (wieder-)erkennbar sind und das oftmals gewaltige Szenarium, das garnicht so surrealistisch ist, wie es erscheinen mag. Meine ganz private Bemerkung: Ich mag besonders den Realismus, der wie mit einem fotografischen Auge ein Zeitgeschehen erzählt. Und so malt er...

Das andere ist sein "StarkDeutsch". Wahrscheinlich aus einer Laune enstanden silben-betonte Wortgebilde, in denen das "Rrr.." eine große Rolle spielt. Da heraus entwickelten sich Themen, die zu Versen verarbeitet wurden. Zwei solcher Kostproben bekommen wir live in die Kamera "gerrrollt". Auch in den Wörtern, in denen kein "r" vorkommt, hört man es trotzdem. Links der Text zu Hertha Fiedlers 70. Geburtstag. Mit Matthias Koeppel gab es die "Schule der neuen Prächtigkeit". Dazu gehörten Johannes Grützke, Manfred Bluth und Karlheinz Ziegler. Alles Realisten, die den Zeitgeist in ihrer Zeit erheblich mit-prägten. So arbeitet Matthias Koeppel heute noch und er hat ein volles Programm auf der Staffelei. Ein Tiptychon des Pariser Platz (alt, vor der Wende und visionenhaft). Seine Erinnerungen an die frühen Weltlaternen-Jahre beinhalten natürlich auch die skurrilen Auftritte des Kellners Tadeusz. Der hat sich bis heute bei allen eingeprägt. Kein Wunder: sein Striptease, seine Sarg-Einlage und sein rüpelhafter Umgang mit den Gästen, die sogar deswegen kamen. Und siehste... der Ingo Insterburg hat damals schon Texte von Koeppel auf der Bühne umgesetzt. Dafür brachte der Ingo dem Matthias das Gitarrespielen bei. Ausgestellt hat er in der Kohlfurter Straße nie. In der Nestorstraße jedoch mal zwei, drei Bilder. Man hatte eben sein eigenes Terrain.

Gerade fertig geworden ist "Das jüngste Gericht". Es hängt noch in seiner kleinen Galerie und ab Mai in der Spanauer Zitadelle. Die Szene spielt am Pariser Platz, mit dem Brandenburger Tor, auf dem Brandenburger Tor... ein Tsunami, der alles überrollt. Der Malerei ansich gibt Matthias Koeppel auf jeden Fall eine Zukunft. Aber eben qualitätsmäßige Malerei, handwerklich gut fundiert. Genau das wollten wir auch hören!

Ankunft des Präsidenten an der Berliner Mauer - Quelle: Internet


Bobo Freitag. Ein Nürnberger. Somit hatte diese süddeutsche Stadt mindestens zwei berühmte Künstler: Albrecht Dürer und Bobo Freitag. 1967 kommt er nach Berlin, will sein künstlerisches Talent ausbauen und fängt ein Studium in der staatlichen Akademie für Grafik, Druck und Werbung am Einstein-Ufer in Charlottenburg an. "Nicht mein Ding", stellt er dann fest. Er will eigen-ständig arbeiten.

Eigene Kunst machen, malen, zeichnen und Objekte bauen. - Wir treffen Bobo im Lokal der ehemalien bzw. inzwischen auch legendären "AUE" (heute "Oskar") in Wilmersdorf. Seit 25 Jahren wohnt und arbeitet er hier im selben Haus, war aber früher ein ständiger Gast der Kreuzberger Kleinen Weltlaterne. Er kennt sie alle. Alle, die damals schon dort waren und wurde schließlich selbst Bestandteil der Künstlergemeinde, die sich an Hertha Fiedlers Tischen trafen.

Die erste Kneipe die Bobo besuchte, war allerdings der "Leierkasten" in der Zossener- Ecke Baruther Straße in Kreuzberg. Hier trank er mit den Artgenossen der damaligen Künstlerszene sein erstes Bier. Der "Leierkasten" gehörte damals dem Trödler Kurt Mühlenhaupt, der sich bereits als Maler etablierte. Und in der "Kleinen Weltlaterne" hatte Bernd Fiedler die Idee, Bierdeckel von den Künstlern bemalen zu lassen. Links einer von Bobo Freiteg. Von diesen Bierdeckeln gibt es heute an die tausend Stück. Wenn Bobo heute darüber nachdenkt, aus welchen "Schichten" die Gäste damals kamen, vermißt er heute diese Unterschiedlichkeit. Auf die Frage, welche Kneipenversion - also Kohlfurter- und Nestorstraße - er heute vorziehen würde, kommt ganz klar die Antwort: "Kohlfurter". Beim Vergleich zwischen Nürnberg und Berlin schwärmt er von der völlig anderen Welt in Berlin, die ihn hier

gefesselt hat und - vor allem - seine Inspirationen innerhalb seiner Kunst extrem beeinflußt hat.


Grab Hertha Fiedler. Der Zehlendorfer Waldfriedhof ist groß. Riesen-groß. Wir treffen uns mit Niels Unbehagen, dem Musiker und Grafiker. Unzählige Abende hat er mit seinen Bands in der Kleinen Weltlaterne seine Auftritte mit honorigen Musikern absolviert. Auch, wenn er an den unterschiedlichsten Orten Berlins mit den Größen der internationalen Jazzszene das Publikum in den Bann zieht, gehört er zum "Inventar" der Kleinen Weltlaterne. Da dieser Film insbesondere der Gastwirtin und Künstlermutter Hertha Fiedler gewidmet ist, ist er sofort bereit, eine musikalische Hommage am Grab mit dem Tenor-Saxofon zu spielen. Der Regentag mit verhangenen Wolken und Wind hat etwas von typischer Friedhofsstimmung. Hier hat auch Willi Brandt seine letzte Ruhe gefunden. Bernd Fiedler hat 4 Rosen besorgt, für jeden eine, die wir später aufs Grab legen werden. Da kommt Ingo Fiedler mit dem Mercedes bis an die Grabstätte... Wir fangen an. Niels spielt "Petite Fleur" auf dem Saxofon und kommt damit den Weg hin zum Grab. Hertha hat dieses Lied so gemocht. Hertha, Du bist in unseren Herzen !


Peter Sauernheimer. Seit 1961 Herthas "Kunde". "Hier kam die alte Frau für ein Schnäpschen oder der Kohlenhändler mit schwarzen Pfoten und spielte Skat", erzählt er. Hier war nicht immer alles Kunst. Es entwickelte sich langsam. Irgendwann sagte Jimmy Weitemeier, Hertha, mach die Wände weiß, dann hängen wir unsere Bilder auf. Und so kam es. Aber Peter Sauernheimer war auch über einen gewissen Zeitraum in Frankreich, um dort künstlerisch zu arbeiten. Deshalb gibt es Lücken in der Wahrnehmung der sich fortlaufend weiter entwickelnen Weltlaternen-Szenerie. Schröder-Sonnenstern? Da lacht er.. "Ja, für den war ich sogar mal kurzfristig Sekretär, aber mit dem muß man es aushalten, oder man läßt es lieber".

Bücher hat er geschrieben und sich der Malerei gewidmet. Aus einem seiner Gedichte- und Prosa-Bücher liest er uns einen Auszug. Hier aus den "Verdunstungsprotokollen":

"Fröhliche Eiszeit! Ruft's aus den Geschäften. Das Waldmeisteraroma stammt aus der Retorte und bleibt wie das Lachen im Halse stecken. Das große Heulen und Zähneklappern kommt uns bestimmt, doch auch das macht den Beton nicht wieder flüssig. Wir werden stolpern über die versteinerte Scheiße der Gegenwart und stürzen in einen erfrorenen Sommer".

Unser Gespräch mit Peter Sauernheimer haben wir in einer Alt-Moabiter Straße geführt, in der sich gleich mehrere Galerien befinden. Nicht nur wohnt er hier, er nimmt auch eine davon in Anspruch und stellt dort aus. Und in dem kleinem Lokal, direkt neben seinem Wohnhaus, in dem wir gerade sitzen, hängen seine Werke ebenfalls an den Wänden.


Bernd Krüger "Bauchladen-Bernie". Seit 44 Jahren lebt er in dieser Stadt. In Hamburg war es schwierig, eine Wohnung zu finden. Also ab nach Berlin. Erst noch Maurer, dann Kneipeninhaber des "Kuckuck" in der Mansteinstraße, gegenüber von "Leydicke". Und natürlich kannte er auch die Kreuzberger Weltlaterne. "Ich bin ein bischen sauer, daß sich die Insterburg & Co-Jungs getrennt haben", schimpft er. "Wenn man sich etwas gemeinsames aufbaut, dann muß man das auch weiter führen". Er sieht sie da immer noch sitzen an Herthas Tischen in der Kohlfurter Straße.

Aber auch bei Bernie hat sich das Leben verändert. seit über 30 Jahren macht er "in Spielzeug". Der hochgewachsene Mann mit dem norddeutschen Dialekt kommt seit dieser Zeit regelmäßig in die Kleine Weltlaterne und "brüllt" sich sofort sein Publikum zusammen. Egal, ob vorn eine Jazzband spielt. Alles was blinkt, wackelt und mit aufgezogenem Uhrwerk über den Tisch rennt, findet sich in seinem Bauchladen. Als "Dienstmann" - so stehts auf seiner Mütze - ist er einer von denen, der heute wie damals noch immer die Weltlaternen-Gäste mit seinen Sprüchen und Bauchladen-Überraschungen begeistert. Er wünscht sich selbst zum 50-Jährigen, daß die Weltlaterne genau so bleibt, wie sie war und ist.


Allein das bis jetzt vorhandene Material umfaßt bereits über 8 Stunden Ansicht. Die Gespräche sind so interessant, sodaß man diese von jedem einzelnen schon anbieten könnte. Im Endergebnis werden allerdings nur Anteile aus den jeweiligen Interviews verwendet, da innerhalb von 45 hoffentlich (vielleicht 60) unterhaltsamen Minuten unserer Dokumentation das gezeigt werden soll, was die kleine Weltlaterne letztlich war und ist... nicht ein Begriff, sondern ein Inbegriff !"


Dietrich Alexander von Plettenberg


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