Das lange Wochenende 1-2-3-4-5

Vor 40 Jahren - als alles anders wurde

Der Sommer 1967 hatte so manche Überraschung auf Lager. Von einer umfangreichen Tour im süddeutschen Raum mit der Band zurück fanden gleich zwei Bandmitglieder den Einberufungsbescheid der Bundeswehr vor. Na Bravo! Damit war die Band kaputt. Jetzt mußte etwas Geld verdient werden. Mit einer Freundin stand ich am Fließband der Paderborner Marmeladenfrabrik Stute. In den gelernten Beruf als Buchdrucker wollte ich auf keinen Fall zurück. Meine Mutter war für sechs Wochen in Canada bei ihrem Bruder. Oh, wie wunderbar! Da konnten ja nun die Partys steigen. Die Paderborner Clique ging bei mir ein und aus und die Eltern suchten ihre Töchter. Nein, das ist kein Scherz - es war tatsächlich so.

Mein Freund Conny - er spielte vorher in der Band das Keyboard und etwas Gitarre - machte sich vom Acker - nach Berlin. Nach 14 Tagen tauchte er plötzlich wieder auf und beschwor mich: Diddi komm mich mal in Berlin besuchen, du wirst es nicht bereuen. Das, was er erzählte, machte großen Eindruck auf mich. Ein Wochenende in Berlin, warum nicht...

2 Wochen später trampte ich los. Irgendwann in der Nacht kam ich am West-Berliner Funkturm (Busbahnhof) an und kannte nichts. Gar nichts. Es war der 30. September, ein Samstag. Als ich jemanden fragte, wo denn hier die Diskothek "Closed Eye" sei, schickte der mich mit einem "weeßick nich" in den Citybereich. Ja, aber wo ist denn der Citybereich? "Da jehste imma jrade aus und dann da lang, biste uffn Kudamm kommst. Dann mußte ma weiter fraren". Auf meinem Zettel stand Bundesallee. Stundenlang lief ich mit meiner Durchfragerei in diese Richtung und landete auf einer Parkbank. Ich war hundemüde. Nach der Morgendämmerung besorgte ich mir ein paar Brötchen - ach nein, "Schrippen" - meine paar Kröten reichten dafür gerade noch. Ziellos und immer wieder desorientiert lief ich durch die Straßen und schlug die Zeit irgendwie bis zum Nachmittag tot. Es muß gegen kurz vor 4 Uhr nachmittags gewesen sein, als ich schließlich vor dem Eingang der Closed Eye-Diskothek stand. Ich wartete einfach ab, was passiert. Vielleicht kommt ja Conny bald. Und dann folgte die erste Begegnung mit einem Typen, der die Haare fast bis zum Arsch hatte. Der steuerte mit seiner ausgebeulten Lederjacke direkt auf den Eingang zu. "Wer bist'n du? Warteste uff jemand?" Ja. Kennst du einen Conny.. son blonder? "Meinste diesen Albinotypen, eenen aus Westdeutschland?" Ja, das müßte er sein. "Der kommt jleich, warte mal, der kommt jleich". Und damit verschwand der langhaarige nach innen. Später wußte ich, das war "Knolle". Es dauerte noch 10 Minuten, dann kam tatsächlich Conny. "Hey Diddi, du hier??" Ich war gerettet. Er zahlte die 3 Mark Eintritt für mich, spendierte auch ein Bier und schon war ich mitten drin in der Scene. Um Conny herum lauter wilde Typen mit wallenden Haaren. Und die Mädels... eine Augenweide nach der anderen. Von der Diskothek hämmerten Jimmy Hendrix, Cream und die Stones auf die flackernde Tanzfläche. Das war ja hier alles ganz anders als in dem vergleichsweise trockenen Paderborn. Größer, wilder, frech-herzlicher und lauter. Und der dicke Waldmüller war der Chef von dem Laden. Ein Bayer.

Die Nacht verbrachten wir in der Gustav-Müller-Straße in Schöneberg. Sieben Leute waren wir. Alle in einem Zimmer auf Matratzen und einem kaputten Sofa. Einer aus Minden, der andere aus Münster, zwei aus Lemgo, noch einer aus Bremerhaven, ein Franzose und ich aus Paderborn. Da war nämlich Timmy, der uns diese Bleibe verschaffte. Gitarre spielen konnte er auch und wohnte in den restlichen drei oder vier anderen Zimmern. Und so ging das noch mehrere Nächte. Tagsüber glänzten wir durch kreatives Nichtstun und abends war das "Closed Eye" angesagt. Ganz wichtig war, neue Mädels aufzureißen. Und die kamen dann mit in die Gustav-Müller-Straße. Ich merkte garnicht, daß es schon mitten in der Woche war. Dabei wollte ich doch nur Conny besuchen... an dem Wochenende...

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